Zum Inhalt springen
Unterstütze uns!

Wir sind ehrenamtlich tätig. Unterstütze uns und unser Anliegen!

Foto: unsplash.com/Dave Photoz

Nicht immer sind (Brett-)Spiele für Farbenblinde zugänglich.

Die bunte Welt der Spiele

Farben sind aus Brett- und Kartenspielen nicht wegzudenken. Sie tragen nicht nur maßgeblich zur Spielatmosphäre bei, sondern dienen oft auch als Basis für gewisse Spielmechaniken (z. B.: „Sammle soundso viele Karten einer Farbe“). Allerdings können schlecht gewählte Farbkombinationen für Farbsehschwache oder Farbenblinde wie mich schnell zum Problem werden. Und das ist dann frustrierend, wenn die Welt der Brett- und Kartenspiele eine große Leidenschaft ist.

Ich bin grünblind (deuteranop), mir fehlen also funktionierende Grünzapfen. Da hilft auch keine Korrektur-Brille. Glücklicherweise gibt es Spiele, bei denen eine defekte Farbwahrnehmung dem Spielvergnügen keinen Abbruch tut, weil eine korrekte Farberkennung für die Spielmechanik irrelevant ist. Ob ich deshalb gern düstere Spiele mag, in denen Farben keine große Rolle spielen? Schwer zu sagen.

Häufig geht es auch „nur“ um die Farben der Meeple[1] – also der eigenen Spielfiguren, die ich zwar nicht benennen können muss, aber die für mich ausreichend gut voneinander zu unterscheiden sein sollten. Es kostet mich sonst zu viel Hirnschmalz, mir die Position aller Spielfiguren auf dem Spielbrett à la Memory merken zu müssen, um noch genug Kapazität für das eigentliche Spielgeschehen zu haben. Meine festen Spielegruppen sind das gewohnt: Routinemäßig werden zunächst immer alle Meeple in die Tischmitte geschüttet und ich picke mir eine der Anzahl Mitspielenden entsprechende Zahl verschiedenfarbiger Meeple heraus, die ich gut auseinanderhalten kann. Wer mit mir spielt, bekommt also nicht immer die Lieblingsfarbe ab und muss im Zweifel auf ein unspektakuläres Weiß zurückgreifen. Bislang hat sich aber noch niemand beschwert. Ich spiele übrigens am liebsten Gelb, mein Mann Schwarz – eine perfekte Mischung!

Es gibt aber eben auch eine Reihe von Spielen, bei denen Farben, bzw. die Zuordnung von farbigen Karten/Markern/Spielfeldern einen essenziellen Bestandteil des Spielmechanismus darstellen.

Wenn Farben zum (Spiel)-Problem werden

Da gibt es beispielsweise die vielen reinen Kartenspiele sowie Brettspiele mit einem kartenbasierten Spielmechanismus, bei denen es darum geht, farblich passende Karten aus der Hand auszuspielen. Oft muss man dabei die eigenen Handkarten vor den Mitspielenden geheim halten und kann deshalb nicht nachfragen. Je nach Farbgestaltung kann ich solche Spiele gut nur am helllichten Tag und bei strahlendem Sonnenschein spielen. Sobald die einzige Lichtquelle eine Deckenlampe ist, muss ich mich gefühlt so weit vorbeugen, um ausreichend künstliches Licht auf meine Karten zu bringen, dass ich auch gleich mit offenen Karten spielen könnte.

Fragt man mich, welches Spiel absolut nicht für mich spielbar ist, dann fällt mir direkt das Kartenspiel SET ein, an das ich schon fast traumatische Erinnerungen habe. Bei diesem Spiel geht es darum, als Erstes ein SET aus drei Karten mit der richtigen Farbe (Rot, Grün und Blau), Form, Füllung und Anzahl aus der offen ausliegenden Kartenauslage zu finden. Wer ein Set gefunden hat, ruft „Set“ und – sofern korrekt – darf es sich nehmen. Selbstverständlich spielen alle gleichzeitig und es gewinnt, wer nach drei Runden die meisten Karten hat. Nun ja, ich habe dieses Spiel vor geraumer Zeit einmal versucht zu spielen. Aber während ich immer noch dabei war, mühsam die roten und grünen Karten zu entschlüsseln, rief schon jemand „Set“. Ich habe schnell das Handtuch geworfen.

Ein weiteres Beispiel ist MOUNT DRAGO, bei dem es 10 drachenförmige Meeple in ebenso vielen Farben sowie dazugehörige Karten gibt. Zwar zeigt jede Kartenfarbe das Abbild eines anderen Drachentyps, wodurch die 10 Karten noch einigermaßen voneinander zu unterscheiden sind, dennoch muss die Kartenfarbe der jeweiligen Meeplefarbe auf dem Spielbrett zugeordnet werden können – und hier steige ich dann aus. Zusätzliche Symbole auf den kleinen Drachenmeeplen wären sicher realisierbar gewesen, hätten aber vermutlich die Produktionskosten in die Höhe getrieben.

Info zur Simulation

Eine Simulation bildet nicht die komplette Realität von Betroffenen ab.
Weitere Informationen

Original
Normales Sehen
Simulation
Normales Sehen
Foto: IFFarb / Hanna Regus-Leidig

Spielkarten und Meeple von MOUNT DRAGO, wie Normalsichtige (links) und wie Grünblinde sie sehen (rechts).

Es gibt auch Spiele, bei denen zwar an zusätzliche Symbolik – vermutlich sogar extra für Farbenblinde – gedacht, diese aber nicht zielführend eingesetzt wurde. So hat beim beliebten Kartenspiel WIZARD jede Kartenart eine eigene Farbe und ein eigenes Symbol bekommen. Leider sind die Symbole oft in der Kartenmitte abgebildet und werden dadurch meistens durch benachbarte Karten im Kartenfächer überdeckt.

Info zur Simulation

Eine Simulation bildet nicht die komplette Realität von Betroffenen ab.
Weitere Informationen

Original
Normales Sehen
Simulation
Normales Sehen
Foto: IFFarb / Hanna Regus-Leidig

Spielkarten von WIZARD, wie Normalsichtige (links) und wie Grünblinde sie sehen (rechts).

Ein weiteres Spiel, das ich vor nicht allzu langer Zeit mit meinem Mann „gespielt“ habe, ist NOCH MAL! bzw. dessen Nachfolger NOCH MAL SO GUT!. Beides sind Würfelspiele, bei denen das Würfelergebnis bestimmt, in welcher Farbe und Anzahl man Kästchen auf einem Spielzettel ankreuzen darf. Das Ziel ist es, möglichst schnell viele Spalten bzw. Farbfelder mit Kreuzen zu befüllen. Da gibt es für mich gleich zwei Schwierigkeiten. Nr. 1: Es gibt dabei Würfel, deren Seiten verschiedenfarbige „X“ zeigen (Gelb, Orange, Rot, Grün, Blau). Diese Farben müssen korrekt erkannt werden. Nr. 2: Die gewürfelte Farbe muss dann der jeweiligen Farbe auf dem Spielzettel zugeordnet werden. Beides war mir in den seltensten Fällen möglich und es lief darauf hinaus, dass ich – zumindest in meiner Erinnerung – jedes Mal sowohl nach dem Würfeln als auch vor dem Ankreuzen nachgefragt habe: „Das ist Rot, oder?“ oder „Was ist denn das nochmal für eine Farbe?“. Der Spieltitel NOCHMAL! hatte für mich eine ganz eigene Bedeutung… Das ständige Nachfragen und Rückversichern nervte (sicher nicht nur mich) tierisch, Spielfreude kam da keine auf. Im Prinzip hat mein Mann für mich mitgespielt. Bestimmt habe ich nur deshalb verloren!

Dass ich bei NOCH MAL! und NOCH MAL SO GUT! nicht die einzige Farbenblinde mit diesem Problem bin, zeigt ein eigens zu diesem Thema verfasster Beitrag der Spieleautoren Inka und Markus Brand auf ihrer Homepage. Darin berichten sie, dass ihnen diese Schwierigkeit durchaus bewusst war, und sie erklären auch, weshalb sie sich gegen eine zusätzliche Symbolik entschieden haben. Dennoch hat sich ein Tüftler die Mühe gemacht, und die Spielzettel durch Muster so umgestaltet, dass zumindest die Farbfelder besser voneinander zu unterscheiden sind. Diese „Spielzettel für Farbenblinde“ kann man nun auf der Homepage herunterladen und ausdrucken. Die Würfelproblematik bleibt aber weiterhin bestehen.

Ein Hoch auf inklusiv designte Spiele

Jetzt kann man natürlich denken: „Stell dich doch nicht so an, dann spiel halt ein anderes Spiel – es gibt doch genug!“ Stimmt, ich könnte mich als gehandicapte Spielende auch einfach damit abfinden, dass ich eben nicht alle Spiele (gut) spielen kann. Und Gottseidank gibt es so viele schöne Spiele, dass mir das eine oder andere für mich einfach nicht spielbare Spiel durchaus egal sein könnte. Allerdings denke ich mir viel zu oft, es wäre doch so einfach gewesen… Und das ist es meistens auch! Im Folgenden will ich daher ein paar aus meiner Sicht gut gelungene Beispiele nennen. 

Vorneweg: Schön wäre natürlich, wenn die Farbpalette eines Spiels immer direkt so gewählt würde, dass sie für alle geeignet ist. Damit Farbtöne und Helligkeitskontraste so angepasst werden können, dass sie für alle gut zu unterscheiden sind, existiert bereits eine Reihe von frei verfügbaren Tools. Ab einer bestimmten Anzahl an unterschiedlichen Farben kann es jedoch schwer werden, eine gute, optisch ansprechende Kombination zu finden. Symbole als Unterstützung sind daher bei Gesellschaftsspielen oft einfacher umzusetzen und bieten auch für Normalsichtige eine weitere Unterscheidungsoption. Ein gutes Beispiel ist da ZUG UM ZUG, das im Jahr 2004 zum Spiel des Jahres gekürt wurde. Der Verlag wurde offensichtlich auf die vorhandene Farbproblematik der Gleisabschnitte auf dem Spielbrett und der Spielkarten bei der Erstauflage aufmerksam gemacht, so dass die Neuauflage eine zusätzliche Symbolik als Hilfestellung auf dem Spielbrett und den Karten erhielt. Stellvertretend für alle Farbenblinden, die dieses Spiel mögen: DANKE und weiter so!

Info zur Simulation

Eine Simulation bildet nicht die komplette Realität von Betroffenen ab.
Weitere Informationen

Original
Normales Sehen
Simulation
Normales Sehen
Foto: IFFarb / Hanna Regus-Leidig

Neuauflage von ZUG UM ZUG (Spiel des Jahres 2004), wie Normalsichtige (links) und wie Grünblinde sie sehen (rechts).

Info zur Simulation

Eine Simulation bildet nicht die komplette Realität von Betroffenen ab.
Weitere Informationen

Original
Normales Sehen
Simulation
Normales Sehen
Foto: IFFarb / Hanna Regus-Leidig

Neuauflage von ZUG UM ZUG (Spiel des Jahres 2004), wie Normalsichtige (links) und wie Grünblinde sie sehen (rechts).

Ein weiteres Beispiel ist GAP, ein schnelles einfaches Kartenspiel, das in mehreren Durchgängen gespielt wird, bis jemand eine vorher festgelegte Anzahl an Punkten erreicht hat. In jedem Durchgang werden reihum Karten ausgespielt, mit denen man sich passende Karten aus der Tischmitte (dabei spielt die Zahl der Karte eine Rolle) nehmen und dann vor sich auszulegen kann (dabei spielt die Farbe eine Rolle). Da es bei GAP nicht darauf ankommt, die Farbe zu benennen oder überhaupt zu wissen, welche Farben im Spiel vorkommen, kann ich als Farbenblinde statt auf die Farben einfach auf die deutliche Symbolik achten. Ich könnte bei GAP vermutlich die Symbole aus dem Kopf aufzeichnen, aber nicht die Farben aufzählen.

Info zur Simulation

Eine Simulation bildet nicht die komplette Realität von Betroffenen ab.
Weitere Informationen

Original
Normales Sehen
Simulation
Normales Sehen
Foto: IFFarb Hanna Regus-Leidig

Spielkarten von GAP, wie Normalsichtige (links) und wie Grünblinde sie sehen (rechts).

Beim nächsten Beispiel, dem kooperativen HANABI (Spiel des Jahres 2013), spielen alle gemeinsam als Team und gewinnen oder verlieren dementsprechend gemeinsam. Es gibt Karten in fünf Farben (Gelb, Grün, Rot, Blau, Weiß + Joker), die alle zusätzlich mit einem eigenen Symbol versehen sind. Die Herausforderung für das Team ist es, ein „Feuerwerk“ in der Tischmitte auszulegen, bei dem die Farben getrennt und die Zahlen jeweils in aufsteigender Reihenfolge sortiert werden müssen. Als Clou bei diesem Spiel halten alle die eigenen Karten „falsch“ herum auf der Hand und finden nur durch Hinweise der Mitspielenden heraus, welche das sind. Die zusätzlichen Symbole erleichtern die Zuordnung der Handkarten zu den einzelnen Feuerwerksreihen in der Tischmitte.

Info zur Simulation

Eine Simulation bildet nicht die komplette Realität von Betroffenen ab.
Weitere Informationen

Original
Normales Sehen
Simulation
Normales Sehen
Foto: IFFarb / Hanna Regus-Leidig

Spielkarten von HANABI (Spiel des Jahres 2013), wie Normalsichtige (links) und wie Grünblinde sie sehen (rechts).

Ein Kartenspiel, bei dem zusätzliche Symbole nicht realisierbar gewesen wären, ohne die Atmosphäre des Spiels zu zerstören oder es unnötig kompliziert zu machen, ist GRAL. Das Spiel basiert auf dem bekannten Mechanismus von Mau-Mau und UNO: Auch bei GRAL gibt es Karten, mit denen man sich die nächste Farbe „wünschen“ darf. Die fünf verschiedenen Kartenfarben sind bei GRAL als farbige Edelsteine auf den Karten abgebildet. Gut, dadurch hat ja schonmal jede Farbe ein eigenes Symbol, eine Unterscheidung ist also möglich. Aber ohne vorher zu fragen, welcher Diamant nun welche Farbe hat und sich dies dann zu merken, konnte ich zumindest das Originalspiel (englische Version) nicht spielen. Für die deutsche Übersetzung wurden daher als Hilfestellung die Farben der Edelsteine in der Spielanleitung und auf einer Übersichtskarte schriftlich ergänzt, so dass man als farbenblinde Person gar nicht erst nachfragen muss. Damit ist ein viel fluffigeres Spiel möglich.

Ausschnitt aus der englischen Spielanleitung von GRAL.
Foto: IFFarb / Hanna Regus-Leidig
Ausschnitt aus der deutschen Spielanleitung von GRAL.
Foto: IFFarb / Hanna Regus-Leidig

Ein Trend, der sich fortsetzen sollte!

Der Bericht des oben erwähnten Spieleblogs und viele Spiele aus den letzten Jahren zeigen, dass immer mehr darauf geachtet wird, Spiele möglichst auch für Farbsehschwache und Farbenblinde spielbar zu gestalten – zumindest bei den großen, etablierten Spieleverlagen. Kleinen Verlagen oder Autorinnen und Autoren, die ihr Erstlingswerk oder einen Prototyp auf Spielemessen vorstellen, gebe ich schonmal ungefragt direktes Feedback, wenn ich das Gefühl habe, dass es für Farbsehschwache oder Farbenblinde schwer zu spielen ist. Bislang bekam ich dann meistens ein überraschtes „Ach? Oh, daran haben wir noch gar nicht gedacht. Danke, dass du es ansprichst!“ als Antwort. Wenn ein (aktuelles) Spiel für mich nicht spielbar ist, dann liegt es daher aus meiner Erfahrung heraus am fehlenden Bewusstsein für „unser“ Problem.

Ich bin absolut keine Verfechterin davon, es allen recht machen zu müssen – aber wenn es möglich ist, ein Spiel mit einfachen Mitteln so vielen Spielebegeisterten wie möglich zugänglich zu machen, dann fällt mir absolut kein Grund ein, dies nicht zu tun. Es ist mir daher ein Anliegen, das Bewusstsein für farbenblindengerechte Spieledesigns in der Spiele-Community noch weiter zu fördern.

[1] Meeple ist die sich in der Brettspiel-Community immer mehr durchsetzende Bezeichnung für Spielfiguren (auch Pöppel im Deutschen). „Erfunden“ hat den Begriff laut Wiktionary Alison Hansel im Jahr 2000 bei einer Partie Carcassonne, bei dem die kleinen charakteristisch geformten Holzfiguren zum ersten Mal Verwendung fanden. Es ist ein Kofferwort aus my und people.

Kontaktieren Sie mich gerne!

Sie haben Fragen, Anmerkungen oder möchten sich zum Thema austauschen?

Hanna Regus-Leidig engagiert sich seit Anfang 2023 aktiv im Interessenverband der Farbsehschwachen und Farbenblinden. Sie ist promovierte (Neuro)-Biologin, auf das Thema Netzhaut spezialisiert und deuteranop. Daher kennt sie die Probleme von Farbfehlsichtigen aus eigener Erfahrung. Zusammen mit ihrem Mann lektoriert und übersetzt sie in ihrer Freizeit Spiele für die B-Rex Entertainment Verlagsgruppe, die über die Crowdfunding-Plattform „Spieleschmiede“ ausländische Spiele lokalisiert und mittlerweile auch Eigenentwicklungen produziert. Dabei achtet sie bei ihren Projekten immer besonders darauf, diese farbenblindengerecht zu optimieren.