Ich selbst leide unter Rot-Blindheit (Protanopie). 2020 habe ich angefangen, mich für diese Brillen-Technologie zu interessieren. Immer noch mit einer gewissen Skepsis – denn Einige von mir besuchte Ärzte meinten, eine solche Brille könne nicht funktionieren, wäre reinste Geldverschwendung. Im Online-Shop gibt es eine Geld-Zurück-Garantie. Damit ist das Risiko eines völligen Fehlkaufs gering. Es besteht lediglich darin, dass die Testzeit für ein vollständiges Bild nicht ausreicht. Weil es z.B. schon einen Unterschied macht, in welcher Jahreszeit eine solche Brille getestet wird. Pilestone verkaufen ihre Brillen für ca. 100 EUR. Das habe ich für ein vertretbares Risiko gehalten.
Immanent ist natürlich, dass man als Mensch mit einer Sehstörung im Bereich Farben nicht weiß, wie die Welt „wirklich“ aussehen muss. Ohnehin nimmt jeder Mensch Farben anders wahr. Meine Erwartung war, dass ich die Umwelt anders wahrnehme, wenn die Brille funktionieren sollte. Hier muss man auch die eigenen Erwartungen einordnen. Die Brillengläser sind filterbeschichtet und technologiebedingt dunkel. Man nimmt daher wie durch eine Sonnenbrille ein zunächst dunkleres Bild wahr. Enchroma bietet zusätzlich Brillen für den Innenbereich an, deren Gläser weniger abgedunkelt sind. Für meinen Test habe ich mich jeweils für die Outdoor-Brille entschieden.
Lichtstärke als entscheidender Faktor
Die wichtigste Erkenntnis für mich ist, dass diese Brillen ausreichend Umgebungslicht benötigen, um zu funktionieren. Wenn draußen die Sonne scheint, sind die Bedingungen super. Zur Verwendung im Haus ist das für mich nach einem onlinegestützten Test nur bedingt geeignet. Für Zwecke der Bildbearbeitung sollte man die Monitor-Helligkeitswerte stark erhöhen.
Die Pilestone hatte ich bei verschiedenen Gelegenheiten getragen. Wenn sich das Gehirn so nach 30 Minuten erst einmal an die neuen Farbinformationen gewöhnt hat, ist das Erlebnis eigentlich kaum zu beschreiben. 50 Jahre habe ich nicht gewusst, wie so eine Welt in Farben eigentlich aussieht. Im Bereich der Rottöne tritt bei mir eine deutliche Verbesserung auf. Was bei dieser Brille für mich störend wirkte, waren die nicht mehr sichtbaren grünen Farben. Als Beifahrer im Auto fällt es auf, wenn man in einen Tunnel fährt und die grüne Sicherheitsbeleuchtung nicht mehr zu sehen ist. Ein deutliches Zeichen, dass grüne Farben in meinem Modell nicht richtig dargestellt werden.
Insgesamt liefert die Brille aber ein beeindruckendes Bild von Farben in der realen Welt. Um aber das Manko der fehlenden grünen Farbe zu beseitigen, habe ich mir dann im März 2022 eine Enchroma-Brille gekauft. Das Modell ist mit 306 EUR teurer, bei einer 60-Tage-Geld-zurück-Garantie. Wie im Netz zu lesen war, soll sie die Grüntöne nicht verschlucken. Ich habe also im März angefangen, diese Brille zu tragen und die grünen Lichter waren wieder da. Dafür war der Kontrast von roter Farbe auf schwarzem Grund schwächer.
Farben neu entdeckt
Ab März wird die Welt um einen herum wieder grün. Ich habe im Frühling wahrgenommen, wie flächenweise Gräser wachsen und sich aus der Umgebung abheben - und Bäume sprießen. Mit dem Sommer zeigte sich aber eine deutliche Verbesserung. Das helle Sonnenlicht führt dazu, dass die Brille ihren Nutzen deutlich ausspielt. Gerade in gleißender Sonne kommt diese Brille komplett zu ihrer Geltung. Da lohnt es sich auch, die Brille in geschlossenen Räumen aufzusetzen. Gut, es sieht sicherlich komisch aus, wenn ein Mensch eine vermeintliche Sonnenbrille in einem Baumarkt oder einem Supermarkt aufsetzt. Aber die Farben, die einen urplötzlich förmlich anspringen, sind es mir wert. Diese Märkte sind eine bunte Mischung aus vielen Farben – die ich alle so vorher nicht wahrgenommen habe. Es ist ja nicht nur das Rot, welches intensiviert wird, auch andere Farben kommen dabei deutlicher zur Geltung. Naturprodukte im Gemüseregal strahlen vor sich hin, dass gilt nicht nur (aber vor allem) für Tomaten. Auch Werbung und „Sonderangebotes-Schilder“, elektronische Schilder und Etiketten fallen mir förmlich ins Auge. Für mich sind die Wochen in diesem Sommer ein Erlebnis, was ich 50 Jahre so nicht kannte.
Die Natur mit ihren Blumen, Blüten und blühenden Wiesen gehören natürlich auch dazu – genauso wie die Menschen in ihren bunten Kleidern. Gerade, wenn dann noch Fotografie als Hobby dazu kommt, machen Farben auf Fotos urplötzlich mehr Sinn. Haut-Töne zeichnen sich deutlicher ab, der Himmel sieht in seinem Blau und seinem deutlichen Kontrast mit den Wolken für mich wunderschön aus.
Als Beifahrer im Auto merke ich, wie Bremslichter oder LED-Ampeln (ein Graus für Menschen wie mich) sich jetzt deutlich abzeichnen. Wenn ich im Sommer die Brille dauernd trage, wird die bunte Welt um mich herum für mich zur Gewohnheit.
Neue Probleme tun sich auf
Perfekt ist auch diese Brille nicht. So ist die Metrik im Sucher meiner Spiegelreflexkamera nicht zu sehen. Dem kann ich mit einer anderen Programmeinstellung leicht abhelfen, aber es war erst einmal eine Umgewöhnung für mich. Auch ist es faszinierend, die Pilestone und die Enchroma übereinander zu legen und damit beide Filter zu verbinden. Damit könnte ich sogar noch besser sehen.
Im Vergleich beider Modelle fällt vor allem die höherwertigere Verarbeitung der Enchroma auf. Zusammenfassend kann ich für mich sagen, dass ich die Brille als einen deutlichen Gewinn für mehr Lebensqualität sehe. Ich finde, es ist eine sinnvolle Investition und eine wunderbare Technik. Wünschenswert wäre eine Enchroma-Brille mit Sehschärfenkorrektur. Das würde mir ersparen, die Brillen übereinander zu tragen.